Am gestrigen Tag, Samstag den 17.10.09 starteten sie in Stuttgart ihre Aktion „Familien gegen Killerspiele“. Eine Gegenaktion des VDVC kommentierten sie mit: „Der VDVC hat unsere Aktion nicht verstanden, wir gehen nur gegen Killerspiele vor“.
Nun, der VDVC hat ihre Aktion durchaus verstanden, nur ist er – wie der Grossteil der Spieler – der Meinung, dass so etwas wie ein „Killerspiel“ nicht existiert. Zunaechst mal ist „Killerspiel“ kein juristischer Begriff [1]. Zwar wurden vielerorts verschiedene Definitionen fuer den Begriff gegeben, diese koennen sich aber je nach Quelle stark unterschieden.
Ihr erster Ansatz war es, „Killerspiele“ als solche Spiel zu definieren, die das „toeten von Menschen simulieren“. Darunter fallen jedoch nicht nur die Vielerorts missverstandenen Egoshooter, sondern zum Beispiel auch jegliche Strategiespiele mit historischen Hintergrund. Da man auch hier „virtuelle Menschen“ in die Schlacht schickt. Ebenso koennte man bei grosszuegiger Auslegung Spiele wie „Mensch aergere dich nicht“ oder Schach in diese Kategorie stecken.
Ihr zweiter Ansatz war es, die Definition einzuschraenken als „Spiele die vom US-Militaer entwickelt wurden, um die Toetungshemmungen zu senken“.
Hier muss ich ihnen Mitteilen, das es solche Spiele schlicht und ergreifend nicht gibt. Guenther Beckstein sagte kuerzlich, Counter-Strike sei vom US-Militaer entwickelt worden, dies ist jedoch schlichtweg falsch. Counter-Strike wurde urspruenglich von 2 Studenten als Hobby-Projekt entwickelt, und spaeter in einer grafisch aufgewerteten Version vom Spieleentwickler Valve [2].
Das US-Militaer hatte nach meinen Informationen in zwei Bereichen Kontakt mit Spieleentwicklern. Beim ersten ging es um die Entwicklung der Trainingsplattform „Game after Ambush“. Mit dieser lassen sich Satelitenkarten in virtuelle 3D-Umgebungen uebersetzen. Innerhalb dieser koennen sich Soldaten in 3D-Simulationen spielerisch auf kommende Einsaetze vorbereiten. Der Sinn dahinter ist jedoch nicht etwa, die Hemmschwelle der Soldaten zu senken, sondern ihnen die Moeglichkeit zu geben Manoever in einem geografisch korrektem Umfeld einzuueben. Fuer mehr Informationen: [3].
Der zweite Kontakt des US-Militaers mit Spielfirmen ist die Entwicklung des „tactial shooters“ [4] America’s Army [5]. Dieser wird von der US-Army kostenlos zur Verfuegung gestellt, um jugendliche fuer die Army zu begeistern (was ich fuer fuer genauso unethisch halte wie sie). Aber auch hier gilt, dass es nicht das Ziel ist die Hemmschwelle der Spieler zu senken.
Ob ueberhaupt jemals versucht wurde, durch Spiele die Hemmschwelle zu senken, ist sehr fragwuerdig. Die Herkunft dieser Annahme ist nicht vollstaendig geklaert, jedoch wird die Buecher des amerikanischen Autors Dave Grossman dahinter vermutet. Dies sind allerdings keine wissenschaftlich annerkannten Werke, und Grossman hat auch keinen Akademischen Abschluss zu verzeichnen. Zwei Artikel die sich genauer mit dem Autor und seinen Buechern befassen finden sie hier [6] und hier [7].
Zuletzt moechte ich da noch auf ein Interview mit einem Ausbilder bei der deutschen Bundeswehr verweisen, der folgendes dazu zu sagen hatte:
Bundeswehr-Hauptmann Oliver M., der in den Bereichen Ausbildung, Sicherheit und Logistik tätig ist […] sprach davon, dass es weder möglich sei, durch Computersimulationen die Tötungshemmschwelle bei Soldaten zu reduzieren, noch werde dies praktiziert, weder hier, noch in den USA. Oliver M. hierzu: „Situationen wie die, die bei einem Auslandseinsatz auftreten, kann man nicht virtuell trainieren. Das macht auch die US-Army nicht.“
Weiter gab er noch ein interessantes Beispiel:
„Um einen Spiele-Vergleich heranzuziehen: Bei Pro Evolution Soccer lernen Sie vielleicht die nötigen Taktiken, doch um ein guter Fußballer zu werden, müssen sie trotzdem sehr sehr lange gegen Bälle treten.“
(Anm. Bei Pro Evolution Soccer handelt es sich um ein sehr bekanntes Fussballcomputerspiel).
Quelle: [8]
Nun wuerde ich gerne noch ein Worte darueber verlieren, wie gefaehrlich gewalthaltige Videspiele denn nun wirklich sind. So wurde wurde 2008 eine Metastudie durchgefuehrt, die die Ergebnisse unterschiedlicher Studien ueber den Einfluss gehalthaltiger Medien auf agressives Verhalten untersuchte und verglich. Diese kam zu den Schluss, das „die Ergebnisse aktueller analysen nicht den Schluss zulass, dass Gewalt in Medien zu aggressivem Verhalten fuehre“ [9]
Eine aehnliche Studie wurde an der FHS Koeln veroeffentlicht [15] (moeglicherweise handelt es sich hier um die selbe Studie, es war mir leider nicht moeglich das rauszufinden)
2006 stellte eine Studie der Universitaet die Kausalitaet in Frage, als sie rausfanden „dass gewalttätige Computerspiele die Kinder nicht aggressiver machen, sondern dass aggressive Kinder zu gewalttätigen Computerspielen tendieren“ [10]
In einem Interview mit ORF erklaerte eine amerikanische Forscherin: „Es gibt keinen Beiweis, dass ein Videospiel jemals echte Gewalt ausgeloest hat.“ [11]
Im April veroeffentlichte eine Forschungsgruppe aus Bremen ergebnisse, dass bei virtueller Gewalt im Gehirn ganz andere Regionen aktiviert werden, als dies bei realler der Fall ist [12] [13].
Ebenfalls im April dieses Jahres zeigte der Diplomand Sebastian Todt in seiner Diplomarbeit, dass der Konsum gewalthaltiger Videospiele nicht etwa ein Randgruppenphaenomen sei, sondern sich in allen Gesellschafts- und Bildungsschichten wiederfinden [14].
Ich hoffe, dass diese (zugegebenermassen recht ausfuehrliche) Mail ihnen ganz guten Eindruck darueber verschafft hat, warum ihre Aktion vom gestrigen Samstag auf derart grossen Widerstand stiess und hoffe auch, damit ein wenig Auklaerung betrieben zu haben.
Ich habe mich bemueht, jede meiner Aussagen durch Quellen zu untermauern, und wuerde sie bitten bei ihrer (hoffentlich Kommenden) Antwort ebenso vorzugehen. Da nichts einer fruchtbaren Diskussion mehr schadet als Argumentationen die dank fehlender Belege nicht angreifbar sind.
Vielleicht sehen sie ja auch in Zukunft von einem weiteren Vorgehen gegen Videospiele ab, und konzentrieren sich auf die (meines Erachtens nach deutlich wichtigen) sozialen Probleme, die zu solchen Amoklaeufen fuehrten.
MfG,
Roman Bruckner
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Killerspiel#Begriffsproblematik
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Counter-Strike#Entwicklungsgeschichte
[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/US-Armee-beauftragt-Spielentwickler-mit-virtuellem-Trainingsprogramm-197919.html
[4] http://en.wikipedia.org/wiki/Tactical_shooter
[5] http://en.wikipedia.org/wiki/America%27s_Army
[6] http://www.gamestudies.at/2009/03/zum-mythos-der-t%C3%B6tungshemmung.html
[7] https://killerspieldebatte.wordpress.com/2009/03/28/dagobert-lindlau-dekonstruiert/
[8] http://www.gulli.com/news/sch-uble-zu-killerspielen-2009-04-23/
[9] http://www.sciencedirect.com/science?_ob=ArticleURL&_udi=B6WKR-4VP177M-1&_user=10&_rdoc=1&_fmt=&_orig=search&_sort=d&view=c&_acct=C000050221&_version=1&_urlVersion=0&_userid=10&md5=e09f8f820e2e64d896c63a21c17cb89d
[10] http://www.zdnet.de/news/wirtschaft_investition_software_studie__killerspiele__nicht_fuer_amoklaeufe_verantwortlich_story-39001022-39150125-1.htm
[11] http://futurezone.orf.at/stories/1628289/
[12] http://blog.zdf.de/3sat.neues/2009/04/gewalt-in-games—interview-mi.html
[13] http://blog.zdf.de/3sat.neues/2009/04/gewalt-in-games—bremen-aggre.html
[14] http://www.saarbruecker-zeitung.de/aufmacher/lokalnews/Computerspiele-Killerspiele-Erweiterte-Realschule-Nalbach-Martin-Luther-King-Schule-Saarlouis-Sebastian-Todt-Umfragen;art27857,2877768,0
[15] http://www.echo-online.de/service/template_detail.php3?id=718439